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Frankfurt wunderbar

Meldung vom 29.10.2012
Was vor Jahren während eines Turnieres in England ein begeisterter Trainer ausgerufen hatte, ist inzwischen der Name eines ganz besonderen Integrationsprojektes: „Frankfurt Wunderbar“. Dahinter steckt die Idee des Frankfurter Vereins, die Integration und Inklusion seiner Werkstattbeschäftigten durch den Sport auf eine neue Ebene zu heben.
Denn seit Jahren ist die Fußballmannschaft der Reha-Werkstatt Oberrad des Frankfurter Vereins eine der spielstärksten und fußballerisch eindrucksvollsten Mannschaften im Werkstattbereich. Nicht ohne Grund konnte das Team 2008, 2010 und 2012 die Deutsche Meisterschaft der Werkstätten für behinderte Menschen gewinnen.

Der nächste logische Schritt in der Entwicklung der Mannschaft war für Jan Zwingenberger und Jürgen Medenbach, die die Werkstattfußballer seit Jahren betreuen, der Schritt in Richtung Vereinsfußball. Immer wieder hatten sie versucht, einzelne Spieler in Frankfurter Fußballteams zu integrieren. Immer wieder kamen die Spieler nach einigen Wochen oder Monaten frustriert aus den Vereinen zurück. Denn die ehemaligen Leistungsträger der Werkstattmannschaft saßen in der Vereinsmannschaft meist nur auf der Bank oder der Tribüne. Dazu klappte es mit der Integration in die teilweise schon seit Jahren zusammenspielenden Teams nicht. Und zu guter Letzt hatten viele der neuen Mannschaftskollegen auch Vorbehalte gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Integration in einen Verein
Jan Zwingenberger (Mitte) und Uwe Medenbach (rechts)Medenbach und Zwingenberger wurde klar, dass die Integration von Einzelnen nur in seltensten Ausnahmefällen gelingen würde. Was aber, wenn man die gesamte Mannschaft in einen Verein integriert und so die Menschen mit Behinderung zu einem ganz normalen Teil des Vereinslebens macht? Immerhin hatten auch schon andere Werkstätten diesen Weg erfolgreich beschritten.

Trotzdem gingen die Frankfurter auch hier wieder ungewöhnlich vor. Sie kamen mit ihrer Mannschaft nämlich beim FTV Frankfurt unter. Das Besondere daran: Der FTV 1860 Frankfurt verfügte bis dahin über keine Fußballabteilung. Die Werkstattmannschaft wurde die erste Fußballmannschaft überhaupt im Turnverein. Das führte aber nicht dazu, dass die Werkstattfußballer weiter isoliert waren. Vielmehr war ihr Eintritt der Impuls für den Turnverein, weitere Fußballmannschaften zu gründen. Außerdem waren alle Vereinsmitglieder stolz auf die Erfolge, die „ihre“ Mannschaft erringen konnte.

Bezüglich der Mitgliedschaft wurde schnell eine Regelung gefunden. Der Frankfurter Verein zahlt einen Gruppenmitgliedsbeitrag. Damit können bis zu 100 Werkstattbeschäftigte die Angebote des FTV 1860 Frankfurt nutzen, also auch alle Sportangebote jenseits des Fußballs. Gleichzeitig wurden Vorstand und Mitglieder des Vereins eingeladen, die Angebote des Frankfurter Vereins zu besuchen und sich vor Ort anzusehen, wo die neuen Mitglieder arbeiten, leben und wohnen.

Die Integration in den Verein war also ein guter erster Schritt. Immer öfter aber wurden Medenbach und Zwingenberger mit den Fragen ihrer Spieler konfrontiert, warum man denn nicht im Liga-Betrieb mitspielen könne. Ja, warum eigentlich nicht?

Abenteuer Ligabetrieb
Auf diese saloppe Frage gibt es natürlich eine Vielzahl von Antworten, die Medenbach und Zwingenberger intensiv diskutierten. Die Teilnahme am Ligabetrieb würde voraussetzen, dass künftig öfter als einmal in der Woche trainiert wird. Wie reagieren die Spieler auf die veränderten physischen Anforderungen durch erhöhtes Training und das Spiel auf Großfeld über 90 Minuten? Wie werden sie die psychischen Herausforderungen bestehen – immerhin handelt es sich um Menschen mit seelischen Erkrankungen?

Den Trainer war klar, dass sie sich mit einem solchen Projekt auf ein wirkliches Abenteuer einlassen würden. Denn ihnen ist klar, dass einige der Spieler dauerhaft den gestiegenen Ansprüchen nicht gewachsen sein werden. Bei andern aber kann es auch dazu kommen, dass sie richtig durchstarten, getragen von der Euphorie. Die Gespräche mit ihren Spielern zeigten schnell, dass alle heiß darauf waren, dieses Abenteuer anzugehen. Jetzt stellte sich nur noch die Frage, wie sich das Ganze am besten umsetzen lassen konnte.

Einfach als Mannschaft des FTV 1860 Frankfurt kann das Werkstattteam leider nicht an den Start gehen. Denn der Verein ist noch nicht beim Deutschen Fußball-Bund als Fußballverein registriert. Entsprechend kann er keine Mannschaft für den Ligabetrieb melden. Was also tun?

Eine zweite Kooperation
Die Lösung lag, wie so oft, ziemlich nahe: Da das Angebot an Trainingsplätzen in Frankfurt begrenzt ist und der Frankfurter FTV 1860 über keinen Fußballplatz verfügt, trainiert das Werkstattteam bereits seit drei Jahren auf den Sportplätzen des Fußballvereins Weiss-Blau Frankfurt. Warum nicht eine weitere Kooperation eingehen? Gesagt, getan. Der FTV 1860 Frankfurt und Weiß-Blau Frankfurt einigten sich, ab Herbst 2012 eine Mannschaft für den Ligabetrieb zu melden – die Werkstattfußballer. Offiziell ist das Team nun die dritte Mannschaft von Weiß-Blau Frankfurt. Da aber Weiß-Blau laut DFB-Statuten nur zwei Teams melden darf, da er nur über zwei Fußballplätze verfügt, geht das Werkstattteam als Sondermannschaft (SoMa) an den Start.

Der Status als dritte Mannschaft soll genutzt werden, Weiß-Blau Frankfurt und den FTV 1860 zu wirklich integrativen Vereinen zu machen. Denn es ist geplant, dass die drei Mannschaften durchlässig gestaltet werden. Das bedeutet, dass ein herausragender Spieler aus dem dritten Team durchaus mal in die zweite Mannschaft hineinschnuppern kann. Genauso steht das Angebot an die Spieler der ersten oder zweiten Mannschaft, die vielleicht nach einer Verletzung oder Pause Spielpraxis benötigen, sich diese in der dritten Mannschaft zu holen.

Da aber davon auszugehen ist, dass die Besuche aus der ersten oder zweiten Mannschaft – zumindest zu Anfang – eher selten erfolgen werden, müssen sich die Verantwortlichen um mehr und neue Spieler bemühen. Denn die bisherige Anzahl Spieler wird vermutlich nicht ausreichen, um den erhöhten Belastungen gerecht zu werden – auch da davon auszugehen ist, dass immer mal wieder einige aus der Mannschaft aussteigen werden. Auch zur Durchführung des Trainingsbetriebs wäre es hilfreich, mehr Spieler dabei zu haben. Deswegen ist man eine weitere Kooperation eingegangen, diesmal mit dem Behindertenwerk Main-Kinzig (BWMK). Auch dort wird seit Jahren erfolgreich Fußball gespielt, auch dort gibt es Werkstattbeschäftigte, die sich gerne einmal im Ligabetrieb mit anderen messen würden. So wurde vereinbart, dass Spieler des BWMK, die bei Frankfurt Wunderbar dabei sein möchten, dabei sein können. Es wird ein Fahrdienst zum Trainingsplatz organisiert, damit die Spieler aus beiden Werkstätten zusammen trainieren können. Allerdings sind hier noch eine Menge Details zu klären.

Um ein qualitativ hochwertiges Training zu gewährleisten, wurde inzwischen ein Trainer mit Landesligaerfahrung gefunden, der ab Sommer das Training leiten wird. Er hat allerdings keine Erfahrungen im Umgang mit psychisch kranken Menschen. Deswegen ist es für die Sportler sehr wichtig, das ihnen mit Jan Zwingenberger auch in Zukunft ihre vertraute Ansprechperson erhalten bleibt.

Jürgen Medenbach und Jan Zwingenberger bleiben Leiter Fußball beim Frankfurter Verein. Sie haben inzwischen mit der Sporthochschule Köln Kontakt aufgenommen, in der Hoffnung, dass das Projekt von wissenschaftlicher Seite begleitet werden könnte. So sollen aus den Projekterfahrungen dann Hinweise und Vorschläge entstehen zur Umsetzung ähnlicher Projekte entstehen.

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